„Hohe Akzeptanz der Corona-Maßnahmen bei Jugendlichen“, bejubelt das Brandenburgische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) die Ergebnisse der neuen Studie Jugend in Brandenburg 2020 – Auswirkungen der Corona-Pandemie in der Überschrift der Veröffentlichung. Die schlechten Nachrichten stehen im „Kleingedruckten“: Mehr als die Hälfte der Jugendlichen in Brandenburg sagen, dass die Politik die Corona-Berichterstattung kontrolliert. Fast jeder fünfte der 12-bis 18-Jährigen meint, dass das Virus nicht existiere.
Hygieneregeln „ja“ – Ausgehverbote „jein“
Gute Nachrichten gibt es auch: 90,5 Prozent der Jugendlichen geben an, die geltenden Corona-Regeln zu kennen (mehr als die Hälfte halten sich für „völlig“,
38,4 Prozent für „teilweise“ informiert). Während das Abstandsgebot, die Quarantäneregeln und die Maskenpflicht jeweils von mehr als der Hälfte „völlig“ und mehr als einem Viertel „teilweise“ akzeptiert werden, herrscht weit weniger Verständnis für Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverbote und Geschäftsschließungen: Jeweils rund 40 Prozent der Befragten lehnen diese drei Maßnahmen ab.
Viele Jugendliche stellen der Politik während der Corona-Pandemie kein sehr gutes Zeugnis aus. Nur wenige Jugendliche (8,6 Prozent) stimmen „völlig“ zu, dass Politiker in Bezug auf Corona „im Interesse der Bürgerinnen und Bürger“ handeln („stimmt teilweise“: 49,5 Prozent; „stimmt kaum“: 24,2 Prozent; „stimmt nicht“: 17,6 Prozent). Wenn Jugendliche daran glauben, dass Politiker im Hinblick auf Corona im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handeln, akzeptieren sie auch die entsprechenden Maßnahmen eher – insbesondere die Maskenpflicht.
Jugendliche Anhänger von Verschwörungstheorien in Brandenburg sind gewaltbereiter als andere Jugendliche. Darüber hinaus zeigen Anhänger von Verschwörungstheorien eine unterdurchschnittliche politische Partizipationsbereitschaft und ein geringeres politisches Interesse.
Gespaltenes Meinungsbild zum Distanzunterricht
Mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler stimmt der Aussage „Mir hat der Distanzunterricht gefallen“ zu („stimmt völlig“: 20,5 Prozent; „stimmt teilweise“ 36,4 Prozent). Heißt im Umkehrschluss aber auch: Mehr als 43 Prozent mochten die Schule fernab des Klassenzimmers nicht („stimmt kaum“: 21,5 Prozent; „stimmt nicht“: 21,6 Prozent). Immerhin knapp die Hälfte der Jugendlichen „hätte gern auch zukünftig Distanzunterricht“.
Ältere Jugendliche und insbesondere Auszubildende an beruflichen Schulen (OSZ) bewerten den Distanzunterricht kritischer als andere Jugendliche. Die Schulformen unterscheiden sich zudem hinsichtlich der Art und Weise der Aufgabenverteilung an die Schüler.
Lebenszufriedenheit und Zukunftsoptimismus
Die Studienreihe „Jugend in Brandenburg“ wird seit 1991 vom Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung e.V. an der Universität Potsdam (IFK) durchgeführt. Ende 2021/Anfang 2022 soll die 9. reguläre Studie erscheinen. Die aktuelle Erhebung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie ist ein Sonderstudie, für die zwischen dem ersten und zweiten Lockdown 17.156 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 18 Jahren befragt wurden.
Grundsätzlich stellen die Forscher fest: Die hohe Zufriedenheit der Jugendlichen mit ihrer Lebenssituation (2017) wurde durch die Corona-Pandemie nicht grundlegend beeinträchtigt. Gesunken ist die Zufriedenheit während der Pandemie insbesondere in Bezug auf Freizeitmöglichkeiten, Schul- und Ausbildungssituation sowie bei den Beziehungen zu Freunden und Bekannten.
Familienklima / Gewalt in der Familie
Fast alle Jugendlichen (2020: 93,6 Prozent; 2017: 94,4 Prozent) berichten, sich „völlig“ oder „teilweise“ auf die Familie verlassen zu können.
Jeweils etwa ein Viertel der Jugendlichen hat während der Corona-Pandemie Probleme wie eine schwierige finanzielle Situation oder weniger Arbeit der Eltern erlebt. Offenbar besitzen viele Familien eine hohe Kompetenz, sich erfolgreich mit Belastungen auseinanderzusetzen. 80,6 Prozent der Jugendlichen wurden von beiden leiblichen Eltern noch nie geschlagen (2017: 67,5 Prozent). Ob die Gewalt innerhalb der Familien insgesamt zugenommen hat? Schwer zu sagen: 35,7 Prozent der Jugendlichen berichten von einer Zunahme der Gewalt während der Corona-Pandemie; 44,6 Prozent sagten, sie habe abgenommen.
Belastung durch Corona-Maßnahmen
Eine deutliche Mehrheit der Jugendlichen stimmt zu, dass das Tragen einer Maske bei der Eindämmung der Corona-Pandemie hilft („stimmt völlig“: 28,4 Prozent; „stimmt teilweise“: 40,3 Prozent) und das Ansteckungsrisiko durch das Treffen vieler Personen erhöht wird („stimmt völlig“: 47,5 Prozent; „stimmt teilweise“: 34,3 Prozent).
Ein Fünftel der Jungen und Mädchen fühlt sich vom Abstandsgebot und von den Quarantäneregelungen „sehr stark“ oder „stark“ belastet. Jeder dritte Jugendliche empfindet den Distanzunterricht und Geschäftsschließungen als so negativ für das eigene Befinden. Vom Kontaktverbot fühlen sich die Jugendlichen – insbesondere die Mädchen – noch stärker belastet.
Über die Studie
Die Befragung richtete sich an Schülerinnen und Schüler ab der 7. Klasse und Auszubildende in allen 485 weiterführenden Schulen und den Förderschulen. Sie begann am 22. September und endete am 10. Dezember 2020. Teilgenommen haben 17.156 Schülerinnen und Schüler ab der 7. Klasse sowie Auszubildende aus rund 220 Schulen, dies entspricht 9,7 Prozent der zu Befragung eingeladenen insgesamt knapp 180.000 Jugendlichen dieser Altersgruppe. Alle Altersgruppen, Schulformen und Regionen sind in der Erhebung vertreten, deren Ergebnisse repräsentativ sind. Die aktuelle Studie wird vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport gefördert mit rund 112.000 Euro. Der eingesetzte Fragebogen enthielt sowohl ausgewählte Fragen aus der Zeitreihenstudie des IFK als auch Corona-spezifische Fragen.
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