Die Generation Y scheint für viele Arbeitgeber fast eine Zumutung, zumindest aber eine Herausforderung darzustellen. Sie wird gerne als zu wenig karriereorientiert, illoyal, faul und führungsfeindlich beschrieben. Prof. Randolf Rodenstock*, Aufsichtsrat der Rodenstock GmbH und Vorstandsvorsitzender des Roman Herzog Instituts**, hinterfragt diese (Vor-)Urteile. Er zeigt, wie Unternehmen Nutzen aus der Generationenvielfalt ziehen können – wenn sie nur sich wandelnde Einstellungen und Bedürfnisse junger Arbeitnehmer in ihre Unternehmenskultur integrieren.
Es heißt, dass die Generation Y wenig am beruflichen Aufstieg und an materiellen Anreizen interessiert sei. In der Tat sind vielen jungen Arbeitnehmern heutzutage „seitliche“ Karriereschritte, die zu mehr Lebenserfahrung und Kompetenzen führen, wichtiger als eine klassische „aufsteigende“ Karriere. Davon profitieren letztlich auch die Arbeitgeber. Führungskräfte, die im Laufe ihres beruflichen Werdegangs Zusatzqualifikationen erworben haben und in der Lage sind, die betriebsinterne Perspektive zu weiten, stellen einen Gewinn für jedes Unternehmen dar.
Kritisiert wird auch oft, dass die jungen Berufstätigen großen Wert auf eine strikte Trennung von Arbeit und Freizeit legen – anders als ihre Eltern, die noch der Überzeugung waren, dass der Beruf eben Opfer und Überstunden fordere. Die jungen Menschen müssen heute jedoch von einer längeren Lebensarbeitszeit ausgehen; da erscheint es nur klug und vorausschauend, mit den eigenen Ressourcen schonend umzugehen. Hier steht vor allem die Personalpolitik der Unternehmen vor der Aufgabe, etwa mithilfe von Lebensarbeitszeitkonten sowohl die betrieblichen Belange als auch die Bedürfnisse der Beschäftigten auszutarieren.
Häufig wird der Vorwurf geäußert, die intensive Nutzung digitaler Medien habe in der Generation Y zu einer Verflachung des Allgemeinwissens geführt. Tatsächlich hat sich ihre Art zu kommunizieren, sich Wissen anzueignen und Informationen weiterzugeben durch die Digitalisierung entscheidend verändert. Informationen werden selektiv und situativ abgerufen. Dies kann auch als eine angemessene Reaktion auf die überbordende Informationsflut gewertet werden: Je weniger es die jeweilige Situation erfordert, alles zu überblicken und zu verstehen, desto mehr konzentriert man sich auf die Aspekte, die einem wichtig oder nützlich erscheinen. Künftig werden zunehmend hochspezialisierte Kenntnisse gefragt sein, die in immer kürzeren Zeitabständen Updates erfordern. Die Generation Y, die an den Wissenserwerb unter den Bedingungen des Digitalen und an den Austausch von Kenntnissen in sozialen Netzwerken gewöhnt ist, wird mit diesen Anforderungen gut zurechtkommen. Diese „digital natives“ bieten auch deshalb Unternehmen einen Mehrwert. Gleichzeitig bleibt der Bedarf an generalisierenden Kenntnissen hoch. Die Digitalisierung, die es technisch ermöglicht, Personen, Dinge und Maschinen miteinander zu vernetzen, revolutioniert die industrielle Wertschöpfung. Angesichts immer komplexerer Zusammenhänge braucht es Mitarbeiter, die über das erforderliche Kontextwissen verfügen und den Überblick bewahren.
Gelegentlich wird unterstellt, dass die junge Generation ein Problem mit der Akzeptanz von Autorität habe. Tatsächlich scheint es sich aber nur um ein anderes Verständnis von Autorität und Führung zu handeln. Denn viele Arbeitgeber bescheinigen ihren jungen Mitarbeitern, dass diese durchaus geführt werden wollen – dabei aber flache Hierarchien, einen offenen, vertrauensvollen Umgang miteinander sowie eine Kommunikation „auf Augenhöhe“ erwarten. Zuspruch, Aufmerksamkeit und Unterstützung setzen sie im Arbeitsleben als selbstverständlich voraus, weil sie es von ihrer eigenen Erziehung her gewohnt sind. Wenn sie in diesen Bedürfnissen unterstützt werden, seien sie hochmotiviert und leistungsbereit, meinen Experten. Dass ein authentischer und glaubwürdiger Führungsstil, der die Mitarbeiter miteinbezieht und in einer Kultur des Vertrauens Widerspruch und Querdenken zulässt, das Betriebsklima verbessert, die Zufriedenheit aller Mitarbeiter steigert und die Produktivität erhöht, sind Erkenntnisse, die sich in den Chefetagen nicht erst seit gestern verbreiten. Diesen Prozess werden die jungen Generationen aktiv vorantreiben.
Pragmatismus gilt als Wesensmerkmal der Generation Y; er wird in diesem Zusammenhang vielfach gleichgesetzt mit Eigenschaften wie unsolidarisch, illoyal oder selbstsüchtig. Die jüngste Shell-Jugendstudie beschreibt die heute 20- bis 35-Jährigen als eine Generation, die unter dem Eindruck globaler Krisen – Terror, Umweltkatastrophen, Wirtschaftskrise – aufgewachsen ist und daraus gelernt hat, dass nichts wirklich sicher ist. Ihre berufliche Überlebensstrategie bestehe darin, Chancen zu ergreifen, wo sie sich bieten – und nicht auf lebenslange Loyalität zu einem Unternehmen zu setzen. Diese häufig kritisierte Haltung kann für Arbeitgeber angesichts sich wandelnder wirtschaftlicher Rahmenbedingungen aber auch von Nutzen sein: Statt langfristiger Verträge bietet sich zum beiderseitigen Vorteil zusätzlich die Möglichkeit projektgebundener Mitarbeit oder zeitlich befristeter Anstellungen. Die zunehmende Digitalisierung der industriellen Produktion – Stichwort „Industrie 4.0“ – verlangt ebenfalls ein stärkeres Umdenken auf beiden Seiten: Die Unternehmen müssen sich vom business as usual verabschieden und immer flexibler auf sich ausdifferenzierende Kundenwünsche reagieren; die Beschäftigten sind gefordert, bei Auftragsspitzen mehr zu arbeiten, was sie in ruhigeren Zeiten wieder ausgleichen können.
Die demografische Entwicklung erfordert, dass die Firmen sich immer mehr um qualifizierten Nachwuchs bemühen müssen. Dabei werden Beschäftigungsverhältnisse zunehmend individualisiert. Die junge Generation wird in der Arbeitswelt ihre eigenen Akzente setzen – wie das im Übrigen schon jede Generation vor ihr getan hat. Der Wertewandel der jungen Generation ist nicht das Problem, sondern vielmehr ein Schlüssel zur Bewältigung der vor uns liegenden Aufgaben, wie etwa der weiteren Digitalisierung und Globalisierung. Denn in den speziellen Erfahrungen, Einstellungen und Kompetenzen der künftigen Generationen von Arbeitnehmern liegt ein bislang unterschätztes Potenzial und damit unsere Chance, die Herausforderungen der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen zu meistern.
* Prof. Dipl.-Phys. Randolf Rodenstock (MBA), geboren 1948 in München, leitete ab 1983 die Rodenstock-Unternehmensgruppe zunächst mit seinem Vater und übernahm 1990 die Geschäftsführung des Optik-Konzerns. Im Jahr 2003 wechselte der Geschäftsführende Gesellschafter der Optische Werke G. Rodenstock GmbH & Co. KG in den Aufsichtsrat der Rodenstock GmbH. Seine Gedanken zur Generation Y in der Arbeitswelt hat der Vorstandsvorsitzende des Roman Herzog Instituts ausführlicher in einer soeben erschienenen RHI-Publikation dargelegt:
** Die Generation von morgen. Neue Werte, neue Gesellschaft, neue Arbeitswelt?, eine kostenlose Publikation des Roman Herzog Instituts. März 2016. In dem Diskussionsband untersuchen namhafte Autoren aus Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zentrale Fragen rund um die Generation Y und Z, beispielsweise: Wie wird die Generation von morgen die Arbeitswelt und Gesellschaft verändern? Wie wird sie mit den Herausforderungen der Zukunft umgehen? Welche Werte wird sie vertreten?
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