Ralf Weinen, Psychologe und Leiter der Markt- und Sozialforschung der Kommunikationsagentur A&B One, zeigt, was junge Talente von mittelständischen Unternehmen halten und wie Firmen darauf im Recruiting reagieren müssen. Viele Studierende denken bei Mittelstand erst einmal: „Stillstand“ und viele (ehemals) mittelständische Tugenden werden heute von Start-ups besetzt. So lauten zentrale Ergebnisse einer qualitativen Befragung von A&B One. Die Studie räumt außerdem auf mit Klischees über das Selbstverständnis der Generation Y, die allzu oft das Employer Branding der Unternehmen leiten:
Über Berufseinsteiger wird derzeit viel spekuliert. Die sogenannten Millennials würden mit Forderungen nach Work-Life-Balance und Sustainability die Wirtschaft verändern, so heißt es. Gleichzeitig klagen viele Personaler über zweifelhafte Leistungsfähigkeit und mäßige Leistungsbereitschaft von Absolventen. Oft entsteht der Eindruck, die dringend benötigten Fachkräfte wären vor allem durch Freizeit- und Erlebnisangebote für die Arbeit zu gewinnen. Müssen nun alle Unternehmen zu einer „Google City“ werden, um die Besten für sich zu begeistern?
Als Spezialisten für qualitative Markt- und Sozialforschung befragen wir junge Erwachsene regelmäßig im Kundenauftrag. Die zitierten Klischees zur Gen Y haben wir dabei nicht wieder gefunden – und daher noch einmal genauer hingeschaut. In Kooperation mit der Business School Berlin haben wir in fünf Fokusgruppen und 25 Tiefeninterviews insgesamt 70 Studierende aus verschiedenen Fachrichtungen zu ihren beruflichen Plänen, zur Wahrnehmung des Arbeitsmarkts und zum Image von Arbeitgebertypen befragt. Die tiefenpsychologische Studie deckt zwei fundamentale Missverständnisse auf:
Die missverstandene Generation: Auf der Suche nach Sinn, nicht nach dem Sofa Junge Erwachsene sind groß geworden zwischen Dauer-Krise und Multi-Option. Das globale Wirtschaften wirkt auf sie ebenso faszinierend wie irritierend. Im Job und im Praktikum haben sie oft auch verstörende Erfahrungen gemacht: mit Qualifikationsblasen, mit Verantwortungsdiffusion und Selbstreferenzialität. „Ich habe in zwei Dax-Konzernen gearbeitet, da wird oft nur der schwarze Peter weiter geschoben, und nach oben immer grün gemeldet“ – so ein angehender Wirtschaftsingenieur. Beim Eintritt in das Berufsleben hat die Gen Y daher nicht die oft unterstellte klare Agenda, sondern eher offene Fragen und widersprüchliche Erwartungen. Nachhaltigkeit meint da zunächst: in einer überkomplexen Welt nachhaltig sinnvolle Arbeit tun, etwas bewegen und etwas bewirken. Denn: „Der Horror ist, stumpfsinnig in den Computer reinzuarbeiten, nur irgendwelche Vorgaben zu erfüllen. Ich will abends nach Hause kommen und wissen, war ich gemacht habe.“ Und natürlich gilt es auf dem globalisierten Arbeitsmarkt, eine gute Balance zwischen „Heim und Welt“ zu finden. Das Leben wird dabei immer wichtiger, je sinnentleerter die Arbeit erscheint.
Zwischen Big Brands und Start-ups Den unüberschaubaren Arbeitsmarkt ordnen die Absolventen klischeehaft und polarisierend. Große Konzerne setzen dabei die Maßstäbe: Sie versprechen Sicherheit, Orientierung und ein Fortkommen auf klar definierten Laufbahnen. „Das ist ein Rundum-Sorglos-Paket, aber man ist dann auch mit Haut und Haaren dabei“, meint ein junger Betriebswirt, der zugleich fürchtet: „Am Schluss kann ich genauso viel wie jeder andere vor oder nach mir.“ Start-ups sind dem gegenüber das große Faszinosum, sie stehen heute für Aufbruch, Dynamik und Innovation. Mit Start-ups, so die Verheißung, kann die Generation Y das Wirtschaften noch einmal neu erfinden: nach eigenen Regeln, mit neuen Geschäftsmodellen und Arbeitskulturen. Das wirkt manchmal so, als würden die Gesetze der Wirtschaft hier nicht gelten, allerdings auch wie ein leicht surrealer Traum: „Oft ist das nur Dressing the Bride. Und wenn der Chef dann den Exit macht, bleibt der Rest auf der Strecke.“
Der verkannte Mittelstand: Forgotten statt Hidden Champions Zwischen diesen Extremen bleibt der Mittelstand, das so häufig gepriesene Rückgrat der deutschen Wirtschaft, eine oftmals verkannte Größe. Mittelstand – das klingt für junge Ohren nach „Stillstand, statisch, gar nicht dynamisch“. Und die Hidden Champions erinnern eher an „graue Gestalten, die sich in der Nische verstecken.“ Für den mittelständischen Unternehmer hegen junge Erwachsene zwar viel Sympathie, sie sehen ihn aber als patriarchalisch und damit für ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Der Mittelstand, so ein häufiger Eindruck, überlebt versteckt in der Nische, weil er es nicht zu mehr Größe gebracht hat. „Wie so ein Putzerfisch“, bemerkt ein angehender Ingenieur. Mehr hidden als Champion. Und die (ehemals) mittelständischen Tugenden – Innovationskraft und Dynamik – werden heute von Start-ups besetzt.
Employer Branding braucht neue Corporate Stories Unternehmen mittlerer Größe können aber durchaus stimmige und attraktive Angebote für die Entwicklungsnöte und -wünsche von jungen Erwachsenen machen. Sie stehen dann in einer unüberschaubaren Arbeitswelt für persönliche Wertschätzung, für Arbeit mit Sinn und überraschende Perspektiven. Damit das auch ankommt, müssen aber die dynamischen Veränderungen der mittelständischen Unternehmen, ihre globale Ausrichtung an den Schlüsselstellen der Wertschöpfungsketten und die neue Diversität in den Chefetagen müssen in den Köpfen der Zielgruppe sehr viel stärker verankert werden.
Für das Employer Branding heißt das vor allem: Auf den Wandel im Mittelstand setzen, nicht auf den Besitzstand. Allzu oft dominieren Schwarzweiß-Bilder aus Gründerzeiten die Webseiten mittelständischer Unternehmen. Für junge Erwachsene zählt aber das Kommenden nicht das Erreichte, sie sind fasziniert vom Projekt. Die Unternehmen müssen daher deutlich machen, dass sie nicht nur ein starkes Erbe, sondern auch spannende Pläne haben. Damit dies glaubwürdig und interessant wird, dürfen auch kritische Wendepunkte und schwierige Marktentwicklungen nicht verschwiegen werden: Als Herausforderungen, denen man sich stellt, gemeinsam mit der jungen Generation.
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