Mediennutzung

Mythos Disruption

„Der Mythos Disruption“

Die Consulting- und Wirtschaftspüfungs-Experten* von Deloitte beschäftigen sich in internationalen Studien wie dem Deloitte Millennial Survey intensiv mit der jungen Zielgruppe. Dabei entdecken sie wirkliche Trends, entlarven aber auch manches „Next Big Thing“, aus dem doch keines wird.

jugendvonheute Was macht die heute 16- bis 34-Jährigen für Sie und Ihre Kunden so spannend?
Dr. Andreas Gentner Etwas holzschnittartig formuliert: Sie sind aufgeschlossen und technikaffin. Außerdem entfernt sich die Zielgruppe aus den etablierten Schablonen – erledigt immer mehr über flexibel agierende, virtuelle Gruppen. Die Generation bewegt sich weg von der 1:1-Kommunikation der Älteren, für die eine Telefonkonferenz schon eine technische Errungenschaft war, hin zu einer ständigen One to Many- und Many to one-Kommunikation. All dies macht sie für unsere Kunden aus den Branchen Technologie, Medien und Telekommunikation interessant. Und selbst wenn sie nicht unbedingt einkommensstark sind, so sind sie dennoch Trendsetter: Sie beeinflussen Ältere, wenn es um das Ausprobieren und um die Anschaffung auch komplexer, teurer Anwendungen geht.

jugendvonheute „Warten auf das Next Big Thing“. Diesen schönen Titel trägt die Auswertung Ihres Global Mobile Consumer Survey nach jungen Zielgruppen. Welches der „next big things“, die in der letzten Zeit durchs digitale Dorf getrieben wurden, hat es letztlich doch nicht in diese Liga geschafft und wo sehen Sie aussichtsreiche Kandidaten?
Gentner Eindeutig nicht geschafft haben es Smartwatches und andere Wearables: So „smart“ die Geräte auch sein mögen, so eingeschränkt ist ihr Nutzen. Early Adopter aber wollen einen wirklichen Benefit. In diesem Fall ist dies übrigens nicht einmal eine Altersfrage: Die Geräte haben sich bislang nicht durchgesetzt und ich habe auch keine Hoffnung, dass sich das noch ändern wird. Ganz anders sehe ich die Entwicklung bei Virtual Reality. Die Generation Y ist sehr aufgeschlossen, sogar neugierig, was VR-Angebote angeht. Wir schätzen das Marktvolumen in Deutschland aktuell auf circa 160 Millionen Euro. Damit führt VR noch ein Nischendasein. Wir gehen aber davon aus, dass sich dies in nächsten vier Jahren gründlich ändern wird. Nicht nur, was die Hardware, also beispielsweise VR-Brillen, sondern insbesondere auch, was die Inhalte angeht. Hier ergeben sich für die Spiele- und die Eventbranche, aber auch für den Handel viele Möglichkeiten. 2020 rechnen wir in Deutschland mit einem Marktvolumen von einer Milliarde Euro.

jugendvonheute Noch haben die meisten junge Konsumenten keine VR-Brille, ansonsten aber verfügen sie eigentlich über den gesamten Gerätepark, den der mediennutzende, kommunizierende Mensch so braucht. Gibt es noch Potenzial, um das neueste Smartphone-Laptop-Tablet-Modell zu vermarkten?
Gentner Potenzial gibt es immer – die Frage ist nur, wie groß es ist. Beim Tablet zum Beispiel halten wir die Grenzen des Wachstums für erreicht – weil es von „unten“ durch größere und hochauflösendere Displays bei Smartphones angegriffen wird, und von „oben“ durch kleinere, mehr Funktionalitäten bietende Laptops. Smartphones haben zwar auch als Statussymbol für die Millennials eine hohe Bedeutung, aber auch diese Zielgruppe macht nicht jeden Modellwechsel mit. Damit sich Schlangen vor den Läden bilden, muss eine neue Gerätegeneration schon wirklichen Mehrwert bieten.

jugendvonheute Im Deloitte Media Consumer Survey ist die Rede vom „Mythos Disruption“. Wo in der Mediennutzung spiegelt sich denn aus Ihrer Sicht eine tatsächliche Disruption ab – also die komplette Ablösung einer alten Technologie durch eine neue – und wo nicht?
Gentner Wirkliche Disruption im Sinne von vollständiger Ablösung gibt es meines Erachtens gar nicht. Auch Print ist kein Auslaufmodell. Am stärksten geht es bei den gedruckten Tageszeitungen zumindest in diese Richtung, weil sie am ehesten durch Online-News-Angebote zu ersetzen sind. Aber bei Special Interest-Titeln, Magazinen oder Büchern schätzt auch die Generation Y noch die Haptik des Gedruckten. Und E-Books sind übrigens ein Phänomen, das hauptsächlich im mittleren Alterssegment spielt.

jugendvonheute Und wie sehen Sie die Entwicklung bei TV und Online-Video?
Gentner Es ist ja kein Geheimnis, dass junge Zielgruppen Online-Video in vielen Varianten nutzen und auch nicht, dass dies zulasten des linearen Fernsehens geht. Das heißt aber nicht, dass Fernsehen überhaupt keine Rolle mehr spielt. Und der Live-Charakter wichtiger TV-Events wird eine wirkliche Disruption auch langfristig verhindern.

jugendvonheute Werfen wir mal einen Blick über den deutschen Tellerrand hinaus. In den USA gelten die unter 35-Jährigen schon als Politik bestimmende, zumindest als Politik stark mitbestimmende Bevölkerungsgruppe. Wenn in Deutschland Wahlen anstehen, dann bemühen sich Politiker – wie man gerade beobachten kann – besonders liebevoll um die Zielgruppe der Rentner. Ist das eine rein demografische Frage oder verschläft Politik da einen Trend?
Gentner Natürlich zeichnet sich Deutschland zum einen durch eine ganz andere Form der Alterspyramide mit einem deutlich geringeren Anteil junger Menschen aus. Zum anderen hat dies aber auch mit einem gemeint wahrgenommenen Desinteresse an Politik zu tun. Und wenn ich „gemeint“ sage, dann, weil ich diese Einschätzung nicht teile. Die junge Zielgruppe in Deutschland ist an Politik interessiert, nur eben nicht an Parteipolitik. Sie engagieren sich für PETA, den Umweltschutz, Flüchtlinge und vieles mehr. Es spricht wohl auch für die Flexibilität der jungen Generation, dass sie bei einem Thema eine konservative, bei einem zweiten eine liberale und bei einem dritten eine grüne Haltung vertreten kann. Auch hier gelten eben die Schablonen, in denen frühere Generationen dachten und lebten und bis heute denken und leben, nicht mehr.

Links zu den Studien:

Deloitte Mobile Consumer Survey

Deloitte Millennial Survey

*Unter dem Namen Deloitte erbringen Experten in unabhängigen Gesellschaften international Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Consulting, Risk Advisory, Steuerberatung, Financial und Legal Advisory für Unternehmen und Institutionen aus allen Wirtschaftszweigen.

©Deloitte/Thomas Niedermüller

Das BABO-Team (v.l.): Ludwig Gerlinger, Patrick Loy und Robin Stein
Mehr Information über die Gründer von BABO Beverages und die kurze, aber bewegte Geschichte von BABO blue gibt es auf der Website des Produkts.

Top-Zielgruppe „Supercharged“

Eine neue 31-Länder-Studie der BBC geht davon aus, dass besonders die wohlhabenden Millennials das Bild prägen, das Werbungtreibende und Agenturen von dieser Zielgruppe haben. Die besonders Kaufkräftigen unter den 16- bis 34-Jährigen unterscheiden sich gravierend von der Mehrheit dieser Altersgruppe und machen global gesehen nur 16 Prozent der Millennials aus. Ihr Selbstverständnis und wie man sie werblich erreicht …

Verlage müssen lernen, das Unerwartete zu erwarten

„Verlage müssen lernen, das Unerwartete zu erwarten“

Wie ticken die Millenials? Wie nutzen sie Medien und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für Zeitungsverlage? Mit diesen Fragen hat sich Prof. Dr. Stephan Weichert* gemeinsam mit Dr. Leif Kramp im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger BDZV in einer Studie beschäftigt, die derzeit ausgewertet wird und im Spätherbst veröffentlicht wird. Wir sprachen mit ihm über erste Ergebnisse und darüber, was Verlage tun müssen, um die junge Zielgruppe besser zu erreichen.

jugendvonheute Alle reden von den Millennials. Wir auch. Aber wie bekommt man 15- bis 35-Jährige und damit eine enorme Bandbreite von Lebenswelten überhaupt auf einen Nenner?
Prof. Stephan Weichert Natürlich ist das keine homogene Zielgruppe. Ein 18-jähriger Abiturient verfolgt nun mal ganz andere Interessen, befindet sich in ganz anderen sozialen Lebenswelten als eine 31-jährige alleinerziehende, berufstätige Mutter. Es geht auch für uns als Forscher darum, sich immer wieder klarzumachen, wo die Gemeinsamkeiten sind und wodurch sich diese Generation definiert: Das ist vor allem die Sozialisierung mit den digitalen Medien – dieses Lebensgefühl des „being permanently connected“, das auf keine Generation so stark zutrifft wie auf diese.

jugendvonheute Gibt es vorab eine Erkenntnis aus Ihrer Studie, die Sie besonders überrascht hat?
Weichert Eines der überraschendsten Zwischenergebnisse bisher ist für mich ein gewisses Umdenken in der Nutzung von digitalen Medien: Vor allem bei den jüngeren Millennials wächst der Wunsch, digitale Auszeiten in Anspruch zu nehmen. Sie wollen Qualitätszeit ganz für sich allein oder für den persönlichen Kontakt mit Freunden – ohne permanent über soziale Netzwerke erreichbar zu sein, ohne den Druck zu verspüren, sich ständig mitteilen oder bei irgendwem zurückmelden zu müssen.

jugendvonheute Hat das gedruckte Wort Ihrer Ansicht nach bei den Millennials ausgedient?
Weichert Ja. Das ist so. Sie greifen zwar noch gelegentlich nach einem Buch, einer Wochenzeitung oder einer Special-Interest-Zeitschrift. Aber was die tagesaktuelle Berichterstattung angeht, hat Print für sie überhaupt keine Bedeutung mehr.

jugendvonheute Was muss sich aus Ihrer Sicht in den Zeitungsverlagen ändern, damit sie diese Zielgruppe, die ihr Mediennutzungsverhalten rasant verändert, nicht gänzlich verlieren?
Weichert Die Verlage müssen neuen Plattformen und Services mit größerer Offenheit begegnen. Sie müssen lernen, das Unerwartete zu erwarten und neuen Trends nachspüren. Die meisten Verlage reagieren erst, wenn sich Nutzungstrends nach ein oder zwei Jahren etabliert haben. Das ist aber zu spät, weil sich junge Erwachsene bis dahin vielleicht schon wieder ganz anderen Plattformen zugewandt haben. Würden Verlage proaktiver nach vorne gerichtete Konzepte für solche Apps entwickeln und eigene Lösungsansätze verfolgen, könnten sie schneller und erfolgreicher auf solche Trends reagieren.

jugendvonheute Auf Trends wie Snapchat?
Weichert Zum Beispiel. Dass Snapchat nach Deutschland kommt und eine so erfolgreiche Entwicklung nimmt, hätte man gut und gerne schon vor zwei Jahren erahnen können. Dass sich die Verlage, wie unsere Bestandsaufnahme zeigt, erst so ganz allmählich bequemen, sich mit dem Thema zu befassen, zeigt, dass sie schon wieder zu spät dran sind. Und das nicht zum ersten Mal. Das war schon bei Facebook so und hat sich bei WhatsApp und Instagram wiederholt Gerade WhatsApp wird von vielen Jugendlichen zwar noch vielfach genutzt, ist aber meiner Ansicht nach schon auf dem absteigenden Ast ist. Und es wird auch weiterhin jedes Jahr etwas Neues geben, auf das man sich einstellen muss und etwas Etabliertes, das sich wieder verabschiedet.

jugendvonheute Sie haben in einer ersten Analyse der Gespräche mit Millennials fünf Trends der Mediennutzung und Lösungsansätze für die Verlage herausgearbeitet. Über #moreforwardthinking haben wir gerade gesprochen. #mobileisking steht für generisch entwickelte mobile Produkte, #nodomesticmedia dafür, journalistische Inhalte an populäre Social Media-Plattformen anzupassen, und #interactwithmillennials ist wohl selbsterklärend. Worin aber sehen Sie die zentralen Aspekte der #cultureofexperimentation, zu der Sie den Verlagen raten?
Weichert Zum einen geht es um die Frage, wie man junge Millennials in den Redaktionsbetrieb einbinden kann, wie man sich ihre Ideen, ihr Feedback holt. Zum anderen geht es darum, Produktideen im Rahmen von Kooperationen oder auch von Start-ups umzusetzen. In Amerika zum Beispiel ist es gang und gäbe, gemeinsam mit der Zielgruppe an Hochschulen in so genannten Newslabs neue Produkte zu entwickeln und mit Prototypen zu experimentieren. Gerade bauen wir an der Hamburg Media School eine solche Lab-Struktur für journalistische Innovationen auf. In Deutschland kommt das erst allmählich. Verlage wie Springer, Der Spiegel und einige andere machen es vor. Aber bei der großen Masse, den hunderten von Regionalzeitungsverlagen, passiert einfach noch nicht viel oder sogar nichts.

jugendvonheute Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen mit solchen Kooperationen?
Weichert Die Verlage profitieren extrem von diesem jungen, frischen Blick auf ihre Angebote. Als Studiengangleiter halte ich natürlich auch deshalb viel davon, weil meine Studenten durch den Anwendungsbezug unglaublich viel lernen. Das ist eine Win-Win-Situation. Verlage können natürlich auch eigene Entwicklungslabore ausgründen. Aufgrund meiner Erfahrungen auch mit amerikanischen Partnern ist es aber zielführender und zudem effektiver, mit Hochschulen wie der Hamburg Media School zusammenzuarbeiten.

jugendvonheute Wie wäre es denn, schlicht und ergreifend in den Redaktionen mehr junge Leute einzustellen?
Weichert Das ist wichtig, aus meiner Sicht aber ein anderes Thema – Stichwort Diversity. Früher galt es, Frauen oder Kollegen mit Migrationshintergrund einzustellen; heute geht es darum, auch Millennials einzubinden, um zu verhindern, dass Redakteure mittleren Alters ihre Inhalte an der Zielgruppe vorbei produzieren. Allerdings ist es heute gar nicht mehr so einfach, gute Leute für den Journalismus zu bekommen. Wenn Verlage Volontärsstellen ausschreiben, stellen sie fest, dass die Nachfrage eingebrochen ist oder die wirklich guten Leute sich ihre Arbeitgeber aussuchen können.

jugendvonheute Und wie steht es in Sachen Weiterbildung, wenn es um digitalen Journalismus auf neuen Plattformen geht?
Weichert Dafür setzen wir uns ein, indem wir den berufsbegleitenden Studiengang Digitaler Journalismus anbieten, den auch Redakteure, die Ende 30 oder Anfang 40 sind, besuchen. Das Problem ist oftmals die Bereitschaft der Verlage, in eine solche Weiterbildung und damit in ihre Mitarbeiter kontinuierlich zu investieren. Oft gehen die Verlage davon aus, dass sich Redakteure neues Wissen selbst „draufschaffen“ können, idealerweise nach Feieraband. Das ist natürlich ein Trugschluss, weil es von vielen nicht geleistet werden kann. Sich systematisch mit neuen Formen des Digitalen Journalismus auseinanderzusetzen ist nichts, was man so einfach neben dem hektischen beruflichen Alltag leisten kann. Dafür sollte man sich die nötige Zeit nehmen.

* Prof. Dr. Stephan Weichert ist Professor für Journalismus und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule Macromedia sowie Studiengangleiter Digital Journalism an der Hamburg Media School.

YouTube erfüllt alle Bedürfnisse, die Schüler an Medien haben

„YouTube erfüllt alle Bedürfnisse, die Schüler an Medien haben“

Medienforscher Dirk Engel hat gemeinsam mit seinem Kollegen Kai Weidlich im Auftrag des TV-Vermarkters IP verschiedene Studien neu analysiert und ausgewertet. Sie wollten herauszufinden, welche Bedürfnisse junger Zielgruppen klassisches Fernsehen, YouTube, Facebook-Videos, Mediatheken und kostenpflichtige Onlinevideo-Portale befriedigen und in welchen Lebensphasen diese Angebote welche Rollen spielen. Klingt theoretisch, heißt aber in der Praxis: Spätestens beim ersten Kind suchen auch Millennials verstärkt nach Entspannung und sitzen – zumindest zeitweise – wieder brav vorm Fernseher.

jugendvonheute Wie kamen Sie auf die Idee, zum einen die Bedürfnisse, die Medien befriedigen, und zum anderen die unterschiedlichen Lebensphasen – von der Schule bis zum Berufseinstieg – zu untersuchen?
Dirk Engel Wir wissen, dass junge Zielgruppen Medien anders nutzen. Die Frage war, ob sich ihre Nutzung nachhaltig verändert, oder ob sie zu „alten“ Gewohnheiten zurückkehren, wenn sie in eine neue Lebensphase eintreten, etwa eine Familie gründen.

jugendvonheute Und? Gucken sie dann wieder, was die Fernsehsender ihnen vorsetzen, oder konsumieren sie Bewegtbild vor allem über Online-Videotheken, Mediatheken und YouTube?
Dirk Engel Sowohl als auch. Millenials, für die Streaming – in welcher Form auch immer – eine Selbstverständlichkeit war, lassen nicht plötzlich davon, nur weil sie jetzt berufstätig sind oder eine Familie gründen. Sie setzen aber andere Prioritäten und schauen wieder mehr klassisches, lineares Fernsehen. Schlicht, weil andere Bedürfnisse wichtiger werden und sie etwa keine Zeit oder keine Lust haben, aktiv nach Programminhalten zu suchen.

jugendvonheute Das freut mich ja für die Fernsehsender, erinnert mich aber ein bisschen an die Zeitungsverleger, die lange an der Überzeugung festhielten, dass junge Leute schon brav wieder eine Zeitung abonnieren würden, wenn sie eine eigene Familie gründen. Das mag Jahrzehnte lang sogar richtig gewesen sein. Irgendwann aber verging soviel Zeit zwischen dem Auszug aus dem Elternhaus und der Familiengründung, dass die Leute von Print entwöhnt waren, alternative Online-Angebote nutzten und überhaupt nicht mehr daran dachten, zur Zeitung zurückzukehren. Droht den TV-Sendern nicht ein ähnliches Schicksal, in Zeiten, in denen viele Studenten nicht mal mehr einen Fernseher haben?
Dirk Engel Nein. Das ist ein Sonderfall. Studenten haben in der Regel wenig Geld, aber viele Aktivitäten. Solange sie alleine wohnen, haben sie deshalb tatsächlich oft gar keinen Fernseher. Da reicht ein Laptop, um eine Serie anzuschauen. Und wenn sie Fußball gucken wollen, gehen sie in die Kneipe. Aber sobald sie mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenziehen, wird fast immer sofort ein Fernseher angeschafft, damit man zu zweit gucken kann. Das Studium unterscheidet sich von allen Lebensphasen, weil hier die Ressource Geld gering, die Ressourcen Zeit und Bildung aber üppig sind. Das führt dazu, dass Studierende, was ihre Mediennutzung angeht, viel experimentieren. Dies geht zulasten des linearen Fernsehens. In dem Moment aber, in dem die Zeit knapper und das Geld mehr wird, Stichwort Berufstätigkeit, wird das lineare Fernsehen wichtiger. Gleiches gilt aber auch für kostenpflichtige Online-Videotheken.

jugendvonheute Welche grundlegenden Bedürfnisse befriedigen denn bewegte Bilder generell – unabhängig von dem Kanal, über den sie uns erreichen?
Dirk Engel Im Kern sind es fünf so genannte Gratifikationen, die uns Bewegtbild bietet: Entspannung und Unterhaltung, Information, soziale Orientierung, die Anschlusskommunikation – also der Austausch über das Gesehene – und Strukturierung des Alltags. In welchem Maße welches Bedürfnis besonders ausgeprägt ist, hängt zum einen mit der Alterskohorte zusammen, der man angehört. Also beispielsweise mit der Frage, ob man mit dem Internet oder mit Social Media aufgewachsen ist. Zum anderen ist unser Mediennutzungsverhalten stark davon geprägt, in welcher Lebensphase wir uns befinden. Sie bestimmt nicht zuletzt unsere Ressourcen. Schüler beispielsweise haben normalerweise viel Zeit, aber wenig Geld, im Berufsleben ist es häufig umgekehrt.

jugendvonheute Dies bei heutigen Schülern herauszufinden klingt relativ einfach. Aber Sie prognostizieren ja, wie sich junge Zielgruppen von heute später verhalten werden. Nun gibt es doch gar nicht so viele Menschen zwischen 18 und 24 Jahren, die schon eine Familie gegründet haben, um aus deren Verhalten auf die Zukunft derjenigen zu schließen, die irgendwann in Zukunft Eltern werden…
Dirk Engel … genau das war das Problem, das wir lösen mussten. Deshalb haben wir uns zunächst generell mit den unterschiedlichen Lebensphasen beschäftigt und die damit verbundenen Bedürfnisstrukturen sowie die Mediennutzung analysiert. Dann haben wir uns angeschaut, was mit den Wenigen ist, die schon in jungen Jahren beispielsweise eine Familie gegründet haben. So haben wir herausgefunden, dass die Lebensphase – Schüler, Studenten, Azubis, Berufstätige oder eben Eltern – auch schon bei den ganz Jungen einen enormen Einfluss auf die bereits erwähnten fünf Grundbedürfnisse und damit auf die Mediennutzung hat.

jugendvonheute Heißt das, dass ein 18-jähriger Student, was die Mediennutzung angeht, vermutlich mehr mit einem 28-jährigen Studenten gemein hat als eine 20-jährige Studentin mit einer gleichaltrigen jungen Mutter?
Dirk Engel Genau das – zumindest wenn wir davon ausgehen, dass alle vier Personen eine ähnliche mediale Sozialisation haben und Online-Bewegtbild schon über alle Kanäle genutzt haben.

jugendvonheute Gab es ein Ergebnis Ihrer Analysen, das Sie besonders überrascht hat?
Dirk Engel Das war eindeutig die Dominanz von YouTube bei der Gruppe der Schüler. Für sie erfüllt YouTube alle fünf Bedürfnisse, die sie an Medien haben, am stärksten: Entspannung und Unterhaltung, Information, soziale Orientierung, Anschlusskommunikation und Strukturierung des Tagesablaufs.

jugendvonheute Die ersten vier verstehe ich. YouTube als Strukturelement leuchtet mir aber nicht ganz ein. Da kommt bekanntlich nicht um 20 Uhr die Tagesschau.
Dirk Engel Das ist ein anderes Strukturverständnis. Hier geht es nicht um einen Taktgeber wie die Tagesschau. Hier geht es vielmehr darum, dass die Millennials in ihrem Tagesablauf Zeit für die Beschäftigung mit YouTube einplanen. Überdies ist YouTube für sie eine Art Fast Food für Wartesituationen. Dann gucken sie, was es bei ihren Lieblings-YouTubern Neues gibt und welche Videos ihnen Freunde empfohlen haben. So bekommt YouTube eine Aktualität, die es für Ältere nicht hat. Mit der Art ihrer YouTube-Nutzung grenzen sich Jugendliche überdies von den Älteren ab. Früher hatte man zur Abgrenzung vielleicht die Bravo oder eine bestimmte Radiosendung, Viva oder MTV. Heute ist es die YouTube-Nutzung. Vermutlich werden Sie wenige über 30-Jährige finden, die bei YouTube regelmäßig eine Stunde lang jemandem zuschauen, der ein Computerspiel spielt, oder jemanden, der mehr als 50 YouTube-Channels abonniert hat. In späteren Lebensphasen ist die Bedeutung dieses Medienangebots eben nicht mehr so allumfassend. YouTube dient dann mehr der Informationssuche und weniger der sozialen Interaktion.

jugendvonheute Sie haben im Auftrag der IP Deutschland, also eines TV-Vermarkters, geforscht. Dem wird es natürlich gefallen, dass Millennials in späteren Lebensphasen wieder zum klassischen linearen TV zurückkehren …
Dirk Engel Das stimmt. Aber das war schließlich nicht das Ziel unserer Analyse. Wir kommen ja auch zu Ergebnissen, die den Fernsehsendern weniger gefallen dürften. Wir sagen eben nicht, dass alles wieder so wird wie früher. Dass die jungen Leute es sich, sobald sie Familie haben, wieder nur vorm klassischen Fernsehen gemütlich machen. Sie werden auch als Eltern auf die Vielfalt der Bewegtbild-Medien zurückgreifen, die sie heute selbstverständlich nutzen. Sie werden Online-Videotheken nutzen, da kleine Kinder sich bekanntlich an keinen Zeitplan halten – auch nicht an den, den das TV-Programm vorgibt. Sie werden YouTube nutzen, aber weniger und anders als zu Schulzeiten. Dass aber das lineare Fernsehen, das in Lebensphasen wie dem Studium so gut wie keine Rolle spielt, nach der Familiengründung wieder an Relevanz gewinnt, ist eindeutig. Ganz einfach, weil es Grundbedürfnisse von Eltern optimal befriedigt – zum Beispiel Unterhaltung/Entspannung, die ihnen auf nur einen Knopfdruck hin zur Verfügung stehen. Das Schöne an unseren Ergebnissen ist, dass die Gratifikationen, die Menschen in bestimmten Lebensphasen von Medien erwarten, relativ stabil sind. Und wenn Fernsehsender diese verschiedenen Motivationen besser verstehen, können sie sie auch noch besser bedienen.

jugendvonheute Gab es ein Ergebnis Ihrer Analysen, das Sie besonders überrascht hat?
Dirk Engel Das war eindeutig die Dominanz von YouTube bei der Gruppe der Schüler. Für sie erfüllt YouTube alle fünf Bedürfnisse, die sie an Medien haben, am stärksten: Entspannung und Unterhaltung, Information, soziale Orientierung, Anschlusskommunikation und Strukturierung des Tagesablaufs.

Dirk Engel ist unabhängiger Marktforscher, Dozent und Berater. Zu seinen Themengebieten gehört Mediennutzung, Werbewirkung und Konsumentenpsychologie. Er lehrt an verschiedenen Hochschulen und Akademien und schreibt regelmäßig Fachartikel und Kolumnen zu Themen rund um Marketing und Medien. Link zu Dirk Engels Website

Mehr zur Studie: Screenlife 2016

Junge Fashionistas

Ohne Mode geht für Frauen wenig, für junge Frauen aber schon gleich gar nichts. Fast 80 Prozent der 18- bis 30-Jährigen meinen, dass Mode ihnen (sehr) wichtig sei. Hat frau die 40 überschritten, räumen weniger als zwei Drittel aktuellen Kleidungstrends noch eine solch eminente Bedeutung ein. Dementsprechend viel bemühen sich junge Frauen – on- wie offline – um modisch up to date zu sein. 

Plakative Interaktionsmöglichkeiten

Immer mehr Plakate und Bildschirme im öffentlichen Raum bieten die Möglichkeit zu reagieren, indem sie den Betrachter ins Internet leiten. Und immer mehr, vor allem junge Menschen, nutzen sie. Laut einer Online-Befragung des Fachverbands Aussenwerbung und der Agentur Posterselect kennen 93 Prozent der 18- bis 30-Jährigen die Möglichkeit, mit Hilfe von Smartphone oder Tablet vom Plakat zu einer Internetseite zu gelangen, um dort zusätzliche Informationen oder auch Angebote wie Gewinnspiele, Gutscheine und Rabatte zu erhalten.

Smart, smarter, Student

139 Mal pro Tag nutzt der Durchschnitts-Studi sein Smartphone, schätzt er (oder sie). Jedenfalls dann, wenn er in Ravensburg dual studiert, was in puncto Mediennutzung durchaus durchschnittlich sein dürfte. 70 Mal geht es dabei um WhatsApp oder SMS, 25 Mal greift man auf soziale Netzwerke zu. Telefoniert wird vergleichsweise selten (14 Mal). E-Mails sind mobil out, Facebook nutzen die Studenten überwiegend passiv.